Sonntag, 23. November 2008

die krankheit der gesundmacher ist das verneinen des kranken an sich

ich kenne drei arten von idealismus: den herzensidealismus, den ideologischen idealismus und den moralischen idealismus, wobei sie sich natürlich gegenseitig bedingen und überschneiden. als neulich ziemlich junge atomkraftgegner mit idealistischen herzen die bahnschienen gegen castor blockierten, titelte die taz ideologisch kalküliert" jung. cool. gegen atom."
unter der überschrift "freie bürger. empowerment. gegen weltwirtschaftskrise." könnte man denn auch im selben plakativen stil so manche argumentationsstränge der aus aktuellem anlaß in die talkshows der republik geladenen talkshowgäste zusammenfassen.
erst neulich sah ich eine dieser talkshows. geladen waren ausnahmslos vertreter der bürgerlichen elite. ein arzt, ein philosoph, zwei fernsehjournalisten etc.
was mich wunderte an dieser speziellen sendung( deren namen ich leider vergessen habe) war der umstand, dass alle anwesenden der überzeugung waren, das gleiche ziel zu verfolgen, sich auf dem weg dorthin aber über angeblich unterschiedliche problemfokussierungen streiten wollten. dabei war der grundtenor aller gleich: die gesetze sind ausreichend punkt, wir brauchen einen starken staat, der regulierend eingreifen kann punkt, wir brauchen aber auch eine wirtschaft, die so frei wie nur möglich agieren kann punkt, wir brauchen den mündigen bürger, der anstand, werte und moral vertritt punkt. fazit: mündige bürger, die unterstützt von den ja schon richtigen gesetzen auf verantwortung und moral setzen, bauen die marode amoralische weltwirtschaft wieder auf. dafür müssen sie - da alles andere fatale konsequenzen hätte- optimistisch in die zukunft blicken punkt.
im großen und ganzen ist das eine strategie, die nicht nur auf der prämisse eines gesunden menschenverstandes, sondern darüberhinaus auf gesundheit als ideologie aufbaut. was von den werten damen und herren allerdings verschwiegen wird, ist, dass gesundheit längst keine natürliche ausgangssituation "des freien bürgers" mehr ist.
es ist nicht unverständlich, wenn vertreter des funktionalismus behaupten, alles kann und soll wieder funktionieren, nur ist es schlichtweg falsch und eine lüge, die entscheidung über erfolg oder misserfolg bei der bewältigung einer krise, allein vom vorhandensein des "richtigen" WILLENS und WOLLENS abhängig zu machen.
unter den falschen umständen reichen dafür auch die kräfte von vielen nicht aus.
was an dieser argumentation darüberhinaus stört:
es gibt überhaupt keine masse DER bürger (die interessen sind alles andere als homogen), dafür aber eine ständig wachsende schere zwischen reich und arm, gesund und krank.
das ganze ist so pathetisch, wie wenn ein serienarzt einem todkranken
auf die schulter klopft und dann in die kamera sagt: "das wird schon."

die krankheit der gesundmacher ist das verneinen des kranken an sich. von der wolke des gesunden scheint alles machbar. die blindheit der gesundmacher besteht darin, davon auszugehen, allein durch die kraft einer vernunftorientierten gesunden reflektion auf ein ergebnis zu kommen, das allen helfen wird. dabei werden sowohl die ideologischen und emotionalen Unterschiede einer immer heterogener werdenden Menschheit ignoriert, als auch die beeinflussung durch die eigene ideologische sozialisation bei einer scheinbar sachlichen problemlösung übersehen.
das dilemma, das sich auftut, lautet: in wahrheit wollen alle gesund werden. doch was gesund ist, bestimmen zuerst immer die gesunden.

Donnerstag, 20. November 2008

miss aniela


beginnen wir mit einem auszug aus der internet abendzeitung(http://www.abendzeitung.de/kultur/medien/22332):"Bislang 477, oft erotische, künstlerische Selbstinszenierungen stellte sie als eine Art optisches Tagebuch ins Netz – ihre wahre Identität aber blieb lange unbekannt. Proteste von Feministinnen, die Miss Aniela die Zurschaustellung des eigenen Körpers vorwarfen – und einen extremen Hang zum Narzissmus – erhöhten selbstverständlich die Klickzahlen und beförderten die Karriere der jungen Fotografin."
die flickr photocommunity ist begeistert, "als ich deine fotos das erste mal sah, hatte ich ein gefühl, das ähnlich war, wie damals, als ich das erste mal Ok Computer von Radiohead gehört hatte..." schreibt ein begeisterter fan auf miss anielas flickr page. nun kann ich diesen kommentar insofern nachvollziehen, da miss anielas fairytale artigen selbstinszenierungen durchaus eine unmittelbar magische anziehungskraft auslösen, doch wodurch tun sie das?
Miss Aniela aka Natalie Dybisz inszeniert ihre fotos nahezu perfekt. vieles davon ist dank photoshop möglich. ihre art der inszenierung von clonshootings hat mittlerweile viele nachahmer gefunden. dabei fotografiert dybisz sich selbst mit einem stativ in verschiedenen körper und bildpositionen mehrfach und collagiert die verschiedenen fotos im nachhinein in photoshop zu einem "gruppenporträt" ihrer selbst. doch das geheimnis vo miss aniela liegt nicht nur im einfachen cloning. sie gelangt zu so ungewöhnlichen ergebnissen, da sie es versteht, wie ein gutes model zu posen, um die von ihr gewünschten effekte zu erlangen. andere entscheidende faktoren für die zwischen modefoto und kunstfoto wandelnde leise surrealität der bilder sind licht- und farbgestaltung. dybisz ist oft in klamotten zu sehen, die exakt zu den farben der umgebung passen und manchmal sogar in ihr zu verschwinden scheinen. so sieht man dann eine geklonte halbnackte schönheit auf der waschmaschine in einer leviswerbung ohne jeans, das heißt, in einer werbung für sich oder die anwesenheit eines von mysteriösem licht bestrahlten lolitawesens.

dybisz negiert oder ironisiert die vorherrschende bilderästehtik der massenmedien in keinster weise, vielmehr verrückt sie die werbeästehtik durch das hinzufügen von einer individuellen und narrativen aura. deshalb wirken ihre bilder oft auch wie filmstills. sie erzählen die geschichten einer jungen frau, die wie viele künstlerfrauen vor ihr mit ihren selbstporträts auch auf einer art selbstsuche ist. durch das cloning kann sie eine eindeutige selbstdarstellung brechen und sich von einer einseitigen Sichtweise distanzieren. so fantastisch ihrer bilder auch sind, einer narzissitsich ästhetisierenden selbstdarstellung und - inszenierung, wie sie in den medien vorherrscht, wirkt sie damit, obwohl sie das behauptet, aber vermutlich eher nicht entgegen. aber was sagt miss aniela dazu?(Auszug interview von www.snapshotdujour.de):

"What do you want people to see when they look at your photos?

As I started to explain in the above answer, I want to satirize and defeat the idea of the woman's body being compartmentalized, literally into 'tits and ass', becoming not so much a body of natural, human function equal to man's, but unfairly singled out and fetishised in porn and advertising in a way that man's body is not. I do not want necessarily to be judged on the prettiness of my outer self. I want to be praised for my skill in capturing myself. I want my viewers to remember I am a breathing, thinking, creating woman - not a doll, 'with boobs and a camera', whose photography effortlessly records her female form.
I love it when people look at my pictures and are impressed or inspired by the use of light, angle and composition; and are moved by the image in its entirety, not singly by the nude body which may appear, but the whole art piece. I don't mind people interpreting my images as erotic, because that's there intentionally, I am not innocent, I am aware of what I am doing. What I don't like is when certain males, sexist to other men, say things like 'Oh dear, I'm looking at the wrong things in this image, that's because I'm male'. Well I am female, I took the picture, and I am looking at my breast too. The aspects of nudity are certainly not exclusively for the male eye, and they're not 'wrong', they're intentional. And our nude selves are natural - because as well as dealing with the specific issue of female images in art, and the way in which the viewer's look is traditionalized as a voyeuristic, male gaze, artists like myself also want to strip the stigma from generic nudity itself, and question the taboos of flesh and sexuality by presenting our own naked selves, unashamedly and knowingly, in our work..."



miss aniela's flickr homepage

Montag, 17. November 2008

Die Ästhetik des Verschwindens

Aus meinen Projektskizzen vom 09.11.08 dazu:

Die Magie des Verschwindens besteht im Überschreiten der Grenze des Sichtbaren ins Unsichtbare. Das Dazwischen zeigt seine Reste noch kurz im Diesseits, bevor es völlig im Metaphysischen aufgeht. Wenn der Prozeß des Verschwindens sichtbar gemacht werden kann, ist das ein bißchen wie mit dem Fliegen. Etwas löst sich in Luft auf und entzieht sich seiner physikalischen Verantwortung.