Mittwoch, 22. Oktober 2008

betrachtung(en) von kafka und filmen



Ich habe letztens in einem großen Anlauf den Nachdruck der originalgetreuen Erstausgabe von Kafkas "Betrachtung" und eine Zusammenstellung aus verschiedenen Texten, Briefen und Tagebucheinträgen Kafkas "Betrachtungen über Leben, Kunst und Glauben" (beide erschienen bei dtv) gelesen.

Im Nachwort der "Betrachtungen über..." von Peter- Andre Alt heißt es: "Franz Kafkas schriftstellerische Produktion beschränkte sich nicht auf die Arbeit an Erzählungen und Romanen. Seine literarische Tätigkeit schloß das Schreiben von Briefen, Tagebucheintragungen und Heftnotizen ein. In Kafkas intellektueller Welt existierte keine Trennung zwischen dem Literarischen und dem Nicht-Literarischem..."

Kafka schreibt Aphorismen des Rätselhaften. Das Rätselhafte wird dabei zu immer Rätselhafterem, bis es vor dem Betrachter schließlich als unlösbares Geheimnis steht; "es bleibt, wie ein Gespenst bleibt, das, was es ist: unaufgelöst."

In beiden Büchern findet sich der kurze Text "Die Bäume":

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.

Kafkas "Aphoristik nutzt die Formen der Skepsis, der Ironie und des Zweifels nicht als Werkzeuge zur Beförderung der Wahrheit, sondern im Hinblick auf die Brüchigkeit jeglicher Erkenntnis...Die Antithese bezeichnet nicht das Gegenteil der These; die Bestätigung der These sagt nicht dasselbe wie die These. Wenn der letzte Satz am Schluß behauptet, der Eindruck der Unbeweglichkeit der Baumstämme sei scheinbar, ist das keineswegs gleichbedeutend mit der Aussage die Baustämme sind beweglich
...das Einzige, was sicher bleibt, ist der Zweifel, zu dem die genaue Betrachtung des kurzen textes je neu Anlaß bietet."

Diese Analyse zeigt meiner Meinung im Kleinen ganz anschaulich, was in Kafkas späteren Erzählungen in verschachtelterer Form immer wieder auftritt.
Kafka führt seine Protagonisten dort in eine Spirale, die oft mit der Aufnahme einer logisch nüchternen Beweisführung (bzw. Auseinandersetzung) beginnt und in der Destruktion aller Bezugspunkte- im Absurden- endet.
"So bilden Kreislaufstrukturen, Wiederholungseffekte, Paradoxien und Formen unabschließbarer Dialektik die Grundmuster seiner literarischen Texte. Mit kühner Prägnanz erzählt Kafka Geschichten von der Setzung und Aufhebung des Subjekts unter den Bedingungen einer heteronomen Welt."


Die Brüchigkeit und die Offenheit von Kafkas Geschichten resultiert aus einer zirkulären Logik, die sich so lange im Kreis dreht, bis sie sich ganz aufzufressen scheint.
Diese Offenheit, die auf die Unmöglichkeit einer Antwort und auf die Unmöglichkeit von wahrer Erkenntnis verweist, macht Kafka so modern.
Sein Einfluss auf lange nach seiner Zeit entstandene postmoderne (Nicht-)Erzählungen in Literatur, Philosophie und Kunst ist immens.
Gerade das postmoderne Kino spinnt Kafkas Netz immerzu fort.
Was bei Kafka die nüchterne Sprache ist, sind bei Regisseuren der Postmoderne die oft realistischen Ausgangssituationen, die im Kontrast zu einer immer brüchiger werdende Geschichte oder Darstellung stehen. Auch die Surrealität eines David Lynchs ist dort am Wirkungsvollsten, wo sie zunächst aus einer nachvollziehbaren (Schein-)Realität entspringt. Durch die Verschachtelung mehrerer Erzählebenen kann im Film mit einfachsten erzählerischen Mitteln die Brüchigkeit der Grenze zwischen "Wahrheit" und Fiktion und zugleich ein Höchstmaß an Spannung produziert werden.
Ähnlich wie bei Kafkas Lektüre hinterlassen einen solche Filme in einem Stadium der Schwebe, das dem einer gefühlten, jedoch nicht greifbaren Erkenntnis ähnelt- ob es als ausschließlich unangenehm verwirrend oder unwohl-wohlig empfunden wird, sei dahingestellt.

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